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ADHS

Ein Versuch, meine Gedanken niederzuschreiben.

Auch wenn viel da steht, fehlt noch mehr. 

 

Es ist knapp vor 5 Uhr morgens. Meine Smartwatch sagt, dass meine Body Battery bei 19 liegt. Mein Sleep Score? 26. 3h44. Kurz, schlechte Qualität.

 

Um 22 Uhr ins Bett, um halb Drei wieder aufgestanden. Toilette. Ohne Smartphone. Meine Beine? Kribbeln, denn ich bin im Halbschlaf einfach zu lange sitzen geblieben. Kann mich aber nicht an spezielle Gedankegänge erinnern. Hab ich gespült? Egal. Nein, sicher nicht. Nachschauen. Klar hab ich gespült.

Cool, wieder ins Bett, vielleicht kann ich nochmal ein bisschen schlafen.

 

Guter Witz. Bisschen rumphantasieren (andere mögen es eine ToDo-Liste nennen), Pläne schmieden. Sonntag zur Mutter? Erst Mal den Freitag rumkriegen. An die Arbeit denken? Ne, später.  Pläne schmieden. Endlich wieder was von Hand schreiben. Langsam. Gutes Projekt. Ich stelle es mir vor. Scheitere schon bei der Auswahl vom Schreibegrät. Und immer wieder: DAAAAAAAAA da da da da daaaaaaa DARA. Phantom of he Opera. Diesmal kann ich es irgendwie nicht ignorieren.

 

Neuer Plan aufstehen, Computer an.

 

Es ist jetzt 5 Uhr 11. Tatsächlich, bis jetzt hab ich den Plan umsetzen können. Ich schreibe, zwar nicht von Hand, aber immerhin. Da war noch ein Gedanke:

STOOOOOOOOOOP stop stop stop stop stooooooop STOPSTOP!

 

Browser auf: Es ist 5:20, ich habs gefunden. Rudimentär kann ich Noten lesen. Na ja… stark übertrieben, aber… Ich denke zumindest, ich hab‘s gefunden.

 

Photoshop auf, Noten und Text zusammenführen.

Es ist 5 Uhr 30. Ich gehe Duschen. Ne, Moment, warten bis 5:30, dann den Alarm ausstellen. Also, noch zwei Minuten. Schluck Wasser. Hmmmm… Kleider rauslegen? Gute Idee. I’ll be back.

 

5:50. Geduscht, Zähne geputzt, beinahe angezogen. Jetzt kommen die Anmerkungen. Die Erklärungen, die ich vergessen habe, die mir unter dem warmen Wasser in den Sinn gekommen sind.

 

Sleep Score: War zwei Tage krank, das bisschen Schlafrhythmus ist mehr zur Sau als nach einem Wochenende.

 

Auswahl des Schreibgeräts, bzw. Nichtauswahl: Ich könnte doch eine neue Schriftart entwickeln. (Hat sicher 10 Minuten gedauert, bis ich gemerkt habe, dass ich in einer kolossaler Abschweifungsschleife bin.)

 

Weiterer Duschgedanken, bevor ich sie loslasse und sie im Nirvana verschwinden, bis sie wieder im unpassendsten Moment auftauchen: Damn, irgendwie ist der Text bis jetzt gar nicht schlecht. The PHAAAAAAAAAAANTOM oft he Opera is there, inside my mind…

 

Ich brauch Hilfe. So kann das nicht weitergehen, ich will meine Ruhe – Hab ich mich eigentlich überall eingeseift? Doch schon. My Spirit and your Voice, in one combined.

 

Ja. Alles sowas von nichts mit Depression zu tun, meiner unExpertise nach.

 

6:03. Fertig anziehen. Hosen, Schuhe. Handy mitnehmen.

 

Endlich dieses verdammte Etikett vom Ikea Schuhlöffel abgemacht.

 

Ich fühl mich grad sehr produktiv.  Shit, immer wieder vergesse ich den Unterschied. War das jetzt Sarkasmus? Oder Ironie?

 

Ach ja, hääte ich fast vergessen: 

Zeit für einen neuen Song

 

Noch kurz meiner ab-und-zu Beifahrerperson schreiben. Ob das heute klappt. 

Schnelle Antwort, ne, er ist schon los.

 

 6:10. Ich bin jetzt auch weg.

 

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7:27, im Geschäft. Kurz nochmal durchlesen, mit etwas Abstand.

 

7:32 Ok, kann man so stehen lassen. Ausser: Ich entschuldige mich bei all den kleineren und kleinsten ‘Zwischenrufgedanken, bei Minimalideen, bei den abgewürgten ‘könnt ich mir noch kaufen’ - Impulsen... und bei all dem anderen WE WILL WE WILL ROCK YOU DUM DUM DA! DUM DUM DA!

 

Hihi. Dumm Dumm

 

 Es reicht jetzt. 7:36 


Was soll das Ganze?

Noch mehr Abstand (ca. sechs Wochen), und zusätzliche Infos später:

 

 ADHS

 

(Übrigens singen das jetzt die Village People, weil sie den eigentlichen Text vergessen haben, diese Loser)

 

Bestätigt, und es erklärt Einiges. Vieles.

Rückblickend ergeben Situationen Sinn.

Reaktionen hatten einen Grund, ein Muster.

 

Erinnerungen, Bruchstücke aus meinem Leben, vorher alle chaotisch, schwarzweiss.

Jetzt noch chaotischer, aber plötzlich in Farbe. Oder besser: farbcodiert.

 

Oversharing (dieser ganze Text zum Beispiel), Blockaden, aus den Augen- aus dem Sinn, tief empfundene Ablehnungen, die Wohnung mit weniger Logik als ein Staubsaugerroboter putzen, Boah ist das laaaaangweilig aber warum bin ich denn damit so überfordert? Und und und.

Oh, mit den Zehen ‘schnipsen’, weil ich mir irgendwann das Wippen mit den Beinen abgewöhnt habe. Ok, erwischt, aber stark reduziert habe ich es.

Ob ich innere Monologe führe? Ja klar doch. Und auch Drehbücher für zukünftige Unterhaltungen. Logisch, man muss ja vorbereitet sein.

Ob ich dachte, dass das alle so machen? Ja, aber ich habe keine Ahnung, wann ich erfahren habe, dass dem nicht so ist.

 

Verdammt, jetzt wippe ich wieder mit den Beinen.

 

Also, wie gesagt, vieles ist jetzt mit einer Erklärung verbunden. Begeisterung bei neuen Dingen, die ebenso schnell wieder verschwinden kann. Aufgaben zu Ende bringen? Schwierig. Aufgaben nach Wichtigkeit, Dringlichkeit und Aufwand sortieren? Wieso das denn? Ok, dann eben doch. Wie ich sie dann abarbeite? Zuerst die interessanten Sachen, dann das, was kurz vor dem «Wieso ist das noch nicht fertig» steht, und ich höre einen Handy – Benachrichtigungston, also raus mit meinem eigenen, checken, ob was … ja, neu Instagram Stories, die ich nicht geniessen kann, weil ich ja ein schlechtes Gewissen wegen dieses «wichtigen Tasks» habe.

 

Und trotzdem. Es geht mir irgendwie besser.

Ein Beispiel.

Anfrage bei einer ADHS-Selbsthilfegruppe. Kein Platz, Warteliste. Ich bin völlig gekränkt. Nehme es persönlich, der hat was gegen mich, und das geht so

HALT! Lass Mal Gefühle Gefühle sein, und schau es dir rational an.

  • Ich bin definitiv nicht allein.
  • Es gibt diese Gruppen
  • Wird die Warteliste ‘zu gross’, können neue Gruppen gebildet werden
  • Nix persönliches, er kennt mich ja nicht, und hat mir einfach nur Tatsachen mitgeteilt.
  • Ich weiss jetzt, worauf ich in manchen Situationen achten muss, und kann entsprechend anders als früher damit umgehen.
  • Nicht zu verachten: Die Anfrage überhaupt zu starten war schon ein kleiner Erfolg

Klar, auch negative ‘logische’ Gedanken kommen mir in den Sinn.

  • Der Anfang ist gemacht, aber es geht nicht weiter. Also schon jetzt eines der beerdigten Projekte?
  • Vermutlich finden diese Selbsthilfetreffen eh zu Zeiten statt, zu denen ich nicht kann.

Yep, irgendwie destruktiv, aber selbstschützend. Na ja, zumindest eine Art defensives Drehbuch.

Übrigens wippe ich gerade mit dem rechten Bein, dafür schnippsen die Zehen links.
War nie mein Ding, aber selbst Fidget-Spinner ergeben plötzlich Sinn.

Ein Gedankensprung, ich bin beim Wort Selbsterklärend. Keine Ahnung wie ich da hingekommen bin.

Aber es ist das, was momentan geschieht. Ich erkläre mich (mir) selbst.
Wobei die Erklärung des Selbst alles andere als selbsterklärend ist.

War es früher schon so intensiv? Anstrengend? Schwer zu sagen.

Interessanter ist es jetzt allemal. Sich selber dabei zuschauen, wie man damit umgeht, wieso es sich so anfühlt… Ach, darum hast du dir das angewöhnt. Schöne Maske, die funktioniert.  

 

 

ADHS. Diagnose mit 56 Jahren. Spannend! (Und beängstigend. Und interessant. Und lähmend. Und DAAAAAAAAA da da da da daaaaaaa DARA. Und lebendig)

 

Wenn jemand mehr wissen will: ADHS bei Erwachsenen


So SAY WE ALL

Heinz